Die Natur und die Stadt

Die Natur und die Stadt

Tiny Forest - Super Power für die Stadt

Episode 35 (Staffel 2): Glühwürmchen - oder wie man die Artenvielfalt am Waldrand fördert. Mit Philipp Egloff, dem Co-Abteilungsleiter Forst der Burgergemeinde Bern, am Gurten bei Kehrsatz. Start: 28.11.2024

Tiny Forest - Super Power für die Stadt

Während man viele Jahrzehnte den Begriff der Innovation an Technologie gebunden hat, versteht man heute, dass die Klimafrage, die Biodiversitätskrise oder die Klimagerechtigkeit nicht mit Technologie allein bewältigt werden kann. Natur-basierte Lösungen machen heute als eine andere Form der Innovation Schule: Man schaut der Natur ab, was sie gut kann, noch bevor man sie in das Korsett der Städte zwängt und entdeckt plötzlich, dass Stadtgrün, Parks, renaturierte Flussufer, entsiegelte Böden oder nur schon Strassenbäume ganz besondere vielschichtige Formen von Super Power besitzen. In dieser Folge geht es unter anderem um Zwergwälder, um Tiny Forests, wie sie der Japaner Miyawaki „erfunden“ hat. In einer Stadt auf nur wenigen Quadratmetern gepflanzt, können sie ein Vielfaches: Die Luft reinigen, die Umgebung befeuchten oder bis zu 30-mal mehr Kohlendioxid absorbieren im Vergleich mit einer Monokultur-Plantage. - Ich besuche die Fachhochschule OST in Rapperswil, wo Landschaftsarchitekten ausgebildet werden. Der Siedlungsökologe Christoph Küffer führt mich auf dem Campus herum und zeigt mir gleich zwei Natur-basierte Lösungen, eine Wiese, die u.a. wie ein Schwamm funktioniert und einen jungen Zwergwald, den die Studierenden gepflanzt haben. Unser Gespräch wendet sich darüber hinaus weiteren Themen zu: Wie rettet man die genetische Vielfalt von Bäumen, die heute durch Hitze und Schädlinge unter Druck gekommen sind und was können auch Städte dazu beitragen?

Naturschutz auf Aargauer Art

Der Aargau ist einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Kantone der Schweiz, industriell wie landwirtschaftlich. Und er ist ein Wasserkanton: Grosse Flüsse wie die Aare, Reuss, Limmat und der Rhein fliessen durch den Kanton und damit rund drei Viertel der Niederschlagsmenge der gesamten Schweiz. Der Aargau ist mit seinen Atomkraftwerken ausserdem ein Energiekanton, aber auch ein Kanton mit Altlasten wie die ehemalige Sondermülldeponie Kölliken. Von 1978 bis 1985 wurde dort in einer alten Lehmgrube Sondermüll deponiert, dies in der Annahme, dass der Lehm das Durchsickern von Schadstoffen ins Grundwasser verhindern werde. Dem war leider nicht so. In Kölliken musste mit hohem finanziellen wie zeitlichem Aufwand der Sondermüll ausgegraben und fachmännisch entsorgt werden. - Zum Glück kann man Sünden manchmal wieder gutmachen. Die Gemeinde Kölliken und Pro Natura Aargau haben das Areal gekauft und führen es etappenweise in jene Kulturlandschaft mit Obstbäumen und ausreichend Laichplätzen für Amphibien zurück, die es einst war. - Matthias Betsche, der Geschäftsführer von Pro Natura Aargau, erzählt einerseits über dieses gemeinschaftliche Naturschutzprojekt. Andererseits ist er Initiant einer Gewässerschutzinititiave, die im Gegenvorschlag unlängst angenommen wurde. Ein Gewinn für alle, meint Matthias Betsche.

Escape Room - auf zur Rettung der biologischen Vielfalt

Eine der grossen Fragen von Umweltschutz- und Bildungsorganisationen ist diese: Wie sensibilisiert man Menschen und vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dafür, dass der Artenschutz einfach alle angeht. Ein Projekt der Hilti-Stiftung im Fürstentum Liechtenstein in diesem Zusammenhang ist „supergut. Biologische Vielfalt sorgt für uns. Sorgen wir für sie“. Zuerst hat die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Biologen Rudolf Staub erhoben, was im „Ländle“ die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Biodiversität sind. Danach hat sie das Feld der Optionen ausgelotet, wie welche Bevölkerungsgruppe womit erreicht werden kann. Seit kurzem kann nun ein „Escape Room“ zur Biodiversität besucht und für grössere Gruppen gebucht werden. Als ich einige Woche vor Start zu einem Testlauf in Schaan war, waren bereits 1400 Menschen angemeldet. Supergut hat also einen super Erfolg! Ein „Escape Room“, in dem Gruppen Rätsel lösen müssen, um wieder rauszukommen, ist nicht nur ein aufregendes Erlebnis für jung und alt, sondern auch eine passende Metapher. Wenn wir nicht sofort handeln, sind wir gefangen in einer sehr ungemütlichen Situation. Diese Episode handelt auch davon, was die Rolle einer Stiftung für den Artenschutz sein kann und wie sie damit „bottom up“ auch Impulse in die Politik gibt.

Zwei Freundinnen auf einem Rhein-Spaziergang

… bis wir im Industriegelände zwischen Muttenz und Pratteln stecken bleiben. Der Spaziergang hat sich dennoch gelohnt, denn auf der kurzen Strecke von Kaiseraugst bis zum Industriegelände ist vieles anzutreffen, was typisch ist für den Rhein. Es gibt dort eine Naturschutzzone mit seltenen Vogelarten oder ein Vorhaben der Kantone Baselstadt und Baselland, am Rhein den Lachs wieder anzusiedeln. Und dies trotz einem grossen Wasserkraftwerk bei Augst mit Brücke zwischen den Nachbarn Deutschland und Schweiz oder einer Schleuse der Basler Personenschifffahrt. Am Fluss begehen wir wilde moosbewachsene Spazierwege an lauschigen Fischerhäuschen vorbei und landen schliesslich in der Nähe der grossen Einkaufszentren ausserhalb von Basel, der Trinkwasseraufbereitungsanlage Hardtwasser und dem Auhafen, wo Mineralölerzeugnisse oder Chemie- und Agrargüter ausgeladen werden. Dieser Spaziergang zweier Freundinnen bietet uns auch die Gelegenheit zum Austausch von Erinnerungen an den Rhein. Wie etwa an 1986, als der Chemieunfall in Schweizerhalle uns beide mit Polizeisirenen aus dem Schlaf gerissen hat. Heute kann man aber sagen: Im Unterschied zu vielen Flüssen in Europa kann man im Rhein schon seit Jahren wieder schwimmen!

Kein Trinkwasser für die Bewässerung von Parks

Pärke sind die grünen Lungen vieler Städte hier und weltweit. Man denke nur beispielsweise an den Central Park in New York. Diese Grünanlagen haben vielfältige Funktionen - für das Stadtklima, für die Entspannung der Bevölkerung und für die städtischen Ökosysteme. Über die vergangenen Jahre wurde viele städtische Pärke in der Schweiz auf den aktuellsten Stand des Wissens gebracht in Bezug auf die Bepflanzung, die zunehmend hitzeresistent sein muss, in Bezug auf die bewusste Pflege der Biodiversität (ohne Pestizide!) - nicht zuletzt aber in Bezug auf das Wassermanagement. Wasser ist mindestens in zweierlei Hinsicht wichtig für einen Park: Ob und wie es versickern kann, wenn es einmal stark regnet, und wie ressourcen-schonend es für die Bewässerung der Anlage eingesetzt wird. Stadtgrün Basel liefert mit dem Margarethenpark am Rand des Gundeldingerquartiers und eigentlich noch auf Binninger (BL) Boden ein besonders gelungenes Beispiel. Es verwendet kein teures Trinkwasser für die Bewässerung des Parks, sondern sammelt das Quellwasser, das vom Bruderholz herunterfliesst. - Diese und viele andere Informationen hat mir Daniel Küry im Gespräch geliefert, der Stadtgrün Basel in Bezug auf die Quellen beraten hat.

Im Klostergarten Fahr - fast wie im Paradies

Das Wissen der Naturheilkunde und die Weisheit der Pflanzenmedizin ist jahrhundertealt und wurde über viele Generationen von Kräuterheilkundigen, Bäuerinnen, Ärztinnen oder Pfarrer und Nonnen weitergereicht. Die Klöster waren prädestiniert dazu, dieses Wissen zu bewahren und in immer wieder neuen Kontexten wirksam einzusetzen. Im Fahr, nahe an der Limmat, steht seit 900 Jahren ein Frauenkloster der Benediktinerinnen, das unter anderem von 1944 bis 2013 junge Bäuerinnen ausgebildet hat. Der Kloster- oder Laudato-sì-Garten von Fahr ist in Form eines Kreuzes angelegt und von einer Mauer aus der Barockzeit umfriedet. Diese ist gerade so hoch, dass man einen Blick von diesem kleinen Paradies erhaschen kann, in dem in vier Quadraten in eine Mischung aus Gemüse, Heilkräutern und Blumen wachsen. Darunter befinden sich viele seltene Arten, deren Samen im Klosterladen verkauft werden. Wie mir Schwester Beatrice erzählt, die den Garten seit vielen Jahren pflegt, will sie hier ganz bewusst die Vielfalt der Pflanzenwelt feiern. Mit vielen Mittelchen und Tricks - wie etwa welche Pflanze liebt besonders die Nähe der anderen - geht sie mit Sorge um den Verlust der Artenvielfalt und gleichzeitig mit einem grossen Respekt und Liebe für die Schöpfung Gottes ans Werk. Der Garten gibt ihr Kraft, sagt sie mehrmals. - Mir wird im Gespräch mit ihr bewusst, dass es viele Zugänge zur Natur gibt und geben soll; derjenige über eine sozio-ökologische Spiritualität vereinigt Wissen und Staunen über die Wunder der Natur.

Stirbt die Natur zu leise?

In Bezug auf den Artenschutz verhält sich die Schweiz so, als spiele sie alleine auf einer grünen Wiese. Dem ist nicht so, denn sie hat im 1995 einen internationalen Staatsvertrag unterschrieben, die Convention on Biological Diversity (CBD). Diese Konvention stellt auf der Ebene der Biodiversität in etwa das Äquivalent zum Pariser Klimaabkommen dar. Die CBD verpflichtet die unterzeichnenden Staaten eine nationale Strategie und einen Aktionsplan für den Schutz der Artenvielfalt zu formulieren und umzusetzen. Bis Kurt Fluri, FDP, 2003 ins Parlament kam, geschah in dieser Hinsicht nichts. Erst nach seinem Parteien-übergreifenden Postulat 2004 kam der Ball langsam ins Rollen. 2012 wurde eine bundesrätliche Strategie verabschiedet und nochmals 5 Jahre später ein Aktionsplan zu deren Umsetzung. Für viele gingen beide Papiere zu wenig weit und ein Komitee mit Kurt Fluri lancierte eine Initiative zum Landschaftschutz und eine zur Biodiversität. Doch selbst der Gegenvorschlag des Bundesrats zur Biodiversitätsinitiative wurde abgeschmettert: Letztes Jahr stellte sich der Ständerat quer. Darum stimmt das Schweizer Volk im September 2024 über die Initiative (und nicht den Gegenvorschlag) ab. - Kurt Fluri war 20 Jahre im Nationalrat, er ist ein Zeitzeuge für das zähe Ringen um die Artenvielfalt im Parlament. Diese Episode handelt davon, weshalb sowohl Bundesrat wie Parlament den Artenschutz immer wieder hinauszögerten. Und dies bei steigender Dringlichkeit. Oder wie es Kurt Fluri fragen würde: „Stirbt die Natur zu leise?“ (Übrigens hatte Kurt Fluri bisher weitere politische Ämter inne wie: Legislative des Kantons: von April 1989 bis November 2003; Präsident der Kantonsratfraktion: von Juli 1999 bis November 2003; Exekutive der Gemeinde: Juni 1985 bis 2021, davon ab 1993 als Stadtpräsident. Und er ist Präsident der Stiftung Landschaftsschutz.)

Solawi - oder weshalb Gärtnern auch politisch sein kann

Solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi, ist eine Form des Gärtnerns, mit der viele Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Besonders, wenn Solawi-Äcker in Städten betrieben werden: Garten- und Natur-unverbundene Menschen arbeiten mehrmals im Jahr dort im Kontakt mit ihren Pflanzen und ohne grosse Anfahrtswege; sie werden dabei von Profis unterstützt und lernen dazu; sie erhalten jede Woche einen x-tel des Ernteertrags; beim Gärtnern lernen sie andere Leute StadtbewohnerInnen kennen; sie leiden je nach Wetter mit ihrem Acker mit oder sind hocherfreut, wenn Ersteres mitgespielt hat… und diese Aufzählung ist nicht einmal abschliessend. Ich war mit Claudia Keller, einer Literatur- und Kulturwissenschaftlerin der Uni Zürich und Mitglied der Betriebsgruppe von "Pura Verdura" (so heisst diese spezifische Solawi-Gruppe) auf einem der Äcker, welcher gleich an ein weiteres Unikum, an den Quartierhof Wynegg anschliesst, an einen von QuartierbewohnerInnen betriebenen Bauernhof mitten in der Stadt. Claudia Keller beschreibt die Arbeit und ihre Erfahrung mit der Solawi und kommt dabei unter anderem zu Schluss, dass Gärtnern eine politische Dimension beinhaltet. Mit ihrem Wissen über Sprache, Sprachbilder und sogenannte Narrative erklärt sie auch, was es mit dem Begriff der Biodiversität auf sich hat und wie er auf der politischen Bühne, jetzt gerade wieder bei Abstimmungskämpfen gebraucht oder gekapert wird.

Ein Land der Kunst im Emmental

Im Zusammenhang mit dem Emmental tauchen unweigerlich Bilder von prächtigen Bauerhäusern auf, jene mit den weit hinuntergezogenen Dächern, die die Berner und Bernerinnen Schärme nennen. Ich denke an Dürrenmatt und ich sehe die Filme von Franz Schnyder vor mir wie Ueli der Knecht oder Anne Bäbi Jowäger, die auf den Romanen von Jeremias Gotthelf beruhen, dem Emmentaler Pfarrer und grossen Schweizer Schriftsteller. Genauso einen Bauernhof habe ich letzthin besucht, den Kulturbauernhof Wanner 433, der oberhalb von Zollbrück am Hang liegt. Auch dieser Bauernhof verbindet Kunst und Natur, Stadt und Land wie einst Gotthelf mit seinen Büchern. Die Hauptgebäude des Wanner 433 sind umgeben von Holzskulpturen und oberhalb steht eine alte Linde mit einem kleinen Schärme, einem Schopf mit Lagerungsraum. Diese Linde mit Namen Freya soll im kommenden Jahr eine ganz besondere Rolle erhalten. Sie und der Schärme werden einer der Standorte eines längeren Spazierweges werden, an dem Kunst und Natur gleichsam miteinander spielen. Das Konzept geht dabei weit über einen Skulpturen-Spaziergang hinaus. Es sollen neue Medien wie etwa ein Videostream oder die Künstliche Intelligenz einbezogen werden. Der Biobauer und Künstler Werner Neuhaus und der Kulturproduzent Samuel Schwarz wollen mit weiteren Partnern wie Christoph Ballmer vom Kulturmuseum Bern das Projekt „Freya - Land der Kunst“ ins Leben rufen. Eine Art Prototyp ist diesem Vorhaben bereits vorausgegangen, die Ausstellung „Wachstum“, die damals die interkulturelle Begegnung etwa mit Künstlern aus Mesopotamien grossschrieb. - Hier also ein Gespräch mit Werner Neuhaus und Samuel Schwarz über vergangene und zukünftige Veranstaltungen und Projekte.

Wild- und Heilkräuter in der Stadt

Wenn wir an Wildpflanzen denken, denken wir nicht in erster Linie an die Stadt. Vor meinem geistigen Auge tauchen Felder, Flussböschungen, Waldränder oder -lichtungen auf. Dort sind sie natürlich anzutreffen. Aber von Sarah Zehnder habe ich in dieser Episode gelernt, dass viele Wild- und Heilkräuter die Stadt als Lebensraum mögen. Vor allem jene städtischen Umgebungen, in denen die Stadtgärtnereien wenig bis keine Pestizide und künstlichen Düngemittel verwenden. Und Sarah sagt, dass jede Wildpflanze heilen kann. So stehen wir denn auch an einem schönen März-Nachmittag am Zürcher Platzspitz, umgeben von Bahnhof, Landesmuseum und (öffentlichem) Verkehr, und wählen ohne komplizierte Suche einen Ort aus. Auf Anhieb sieht Sarah Zehnder dort rund 5 essbare Wild- und Heilkräuter und eine Eibe, deren Gift in der richtigen Dosierung in der Krebstherapie eingesetzt werden kann. Es ist absolut faszinierend, von welchem Schatz wir umgeben sind. Viele Wildkräuter verfügen über 40 Prozent mehr Vitalstoffe als Salat. In dieser Episode geht es darum, wie wir diese Pflanzen sammeln, wie wir in Beziehung treten mit ihnen und wie wir sie handhaben. Denn Vorsicht, einige sind wie die Eibe giftig. Wie stets geht es auch um die Fragen, was wir Stadtbewohner:innen für die Wild- und Heilkräuter tun können.